Das Reinheitsgebot wird 500 Jahre
Zum Feierabend ein schönes kühles Weißbier, das hab ich mir verdient. Während die feinporige Schaumkrone meine Lippen benetzt, schweift mein Blick aufs Flaschenetikett. Ein traditionell gehaltenes Bild, Premium, Bla-bla-bla, Zutaten: Wasser, Weizenmalz, Gerstenmalz, Hefe, Hopfen, und „getreu dem bayerischen Reinheitsgebot von 1516“ kann man da sehen. Stimmt, 500 Jahre Reinheitsgebot feiern wir dieses Jahr, meine Frau und ich haben genauer nachgeforscht.
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In der linken Hand das Bier, mit der Rechten am PC, stöbere ich daraufhin in feierlicher Stimmung im weltweiten Netz. Dort erfahre ich: Es wurde in Ingolstadt am 23. April von den Brüdern Herzog Wilhelm IV. und Ludwig X. erlassen und darin das Brauen geregelt. Zum Einen wurde damit der Bierpreis gesichert (eine Maß für maximal zwei Pfennig), zum Anderen wurden Weizen und Roggen zu Gunsten des Brotbackens ausgeschlossen. Vor allem aber wirkte man damit dem teilweise gefährlichen Gepansche mit aus heutiger Sicht abenteuerlichen Zutaten (Ruß, Tollkirschen, Ochsengalle …) entgegen. Als Zutaten wurden also ausschließlich Wasser, Gerste und Hopfen zugelassen. Das passt aber nicht zu der Liste auf dem Etikett von meinem Bier. Das will ich jetzt dann doch genauer wissen!
Das älteste Verbraucherschutzgesetz der Welt hat wohl schon irgendwie Bestand, aber wo liegen die Unterschiede? Fangen wir mit einer frischen Halbe von Vorne an. Wasser, weshalb früher die Tage vor dem Brauen nicht mehr in den Bach geschissen werden durfte, heute entsprechend Trinkwasserqualität, gut. Hopfen, bei uns quasi vor der Haustür (Holledau), deswegen auch gut. Bei den Begriffen Weizen- und Gerstenmalz gegenüber Gerste komm ich schon ins Grübeln. Fündig werde ich im Vorläufigen Biergesetz (VorlBierG, Stand 29. Juli 1993), das zwar 2005 vom „Gesetz zur Neuordnung des Lebensmittel und des Futtermittelsrechts“ abgelöst wurde, worauf aber weiterhin verwiesen wird:
Brauereien dürfen in Deutschland nur unter Einhaltung §9 des Vorläufigen Biergesetzes Bier herstellen. „Zur Bereitung von untergärigem Bier darf, (…) nur Gerstenmalz, Hopfen, Hefe und Wasser verwendet werden.“ Das hängt also von der verwendeten Hefe ab. Darunter fallen Helles und Pils. „Die Bereitung von obergärigem Bier unterliegt der selben Vorschrift, es ist hierbei jedoch auch die Verwendung von anderem Malz (…) zulässig.“ Damit sind alle weiteren Biere wie Weißbier, Kölsch und Alt gemeint und es ist neben Gersten- z. B. auch Weizenmalz erlaubt. In Bayern und Baden-Württemberg sind außerdem keine weiteren Zutaten wie beispielsweise Zucker zugelassen. Weiter heißt es sinngemäß: unter Malz wird kontrolliert zum Keimen gebrachtes Getreide verstanden.
Auf diese trockene Kost brummt mir der Schädel. Jetzt brauch ich erst mal einen großen Schluck obergäriges Bier. Auf meiner weiteren Suche erfahre ich, dass die Hefe als Zutat erst später systematisch entdeckt und zugegeben wurde, weshalb sie in der Urfassung von 1516 nicht enthalten ist. Es gab übrigens schon wesentlich früher Vorläufer des Reinheitsgebots in Zunft oder Stadtrechten, wie beispielsweise 1156 in Augsburg und 1487 in München. Der Erlass von 1516 galt jedoch einheitlich für ganz Bayern und ist daher als bahnbrechend anzusehen. Zusätzlich habe ich gelernt, dass König Otto I. für das Reinheitsgebot in Griechenland gesorgt hat (und damit ist nicht deren Fußballgott Rehakles gemeint), dass eine Maß Bier 1,069 Liter entsprach und dass jährlich am 23. April der Tag des Bieres gefeiert wird. Wenn ausländische Biere, die nicht §9 entsprechen, nach Deutschland importiert werden, müssen die Zutaten gemäß Kennzeichnungsverordnung auf dem Etikett aufgeführt werden.
Nach unzähligen Stunden der Recherche und einem Bierverkostungs-Marathon (einzig die jeweils letzte Halbe war schlecht) brauche ich spätestens jetzt professionelle Hilfe und schau bei Florian Linder, dem Braumeister bei der letzten Neuburger Brauerei „Juliusbräu“ vorbei.
Dort erzählt mir die Brauerei-Chefin Frau Bauer in gemütlicher Runde, dass die Brauerei 1828 als Neuwirt-Brauerei gegründet worden und im zweiten Weltkrieg einem Bombenangriff zum Opfer gefallen ist. 1950 ist diese am heutigen Standort als Juliusbräu neu aufgebaut worden und hat mittlerweile einen Jahresausstoß von ca. 3500 Hektolitern. Frau Gabriele Bauer führt den Betrieb und stellt sich zum Verkauf immer noch selbst auf die Rampe. Ein Geselle, ein Bierfahrer und ein Lehrling unterstützen Florian bei seiner Arbeit. Der Lehrling ist übrigens der Erste seit 50 Jahren. Florian ist an jeder wichtigen Veranstaltung in Neuburg vertreten und schenkt sein Bier aus. Ich stell mir das schon schwer vor, arbeiten zu müssen wenn andere feiern, worauf mir Florian lächelnd widerspricht: „Ich darf da arbeiten, wo andere Feiern.“
Als ich ihnen meine bisherigen Erkenntnisse zum Reinheitsgebot präsentiere, habe ich das Gefühl die beiden zu langweilen. Zwar bestätigen sie mir die Richtigkeit meiner Nachforschungen, zeigen sich jedoch auf einmal recht wortkarg. Mit Zahlen und Gesetzestexten kann man das Brauerhandwerk eben nicht beschreiben. Als Florian anfängt zu erklären, was für ihn das Brauen und damit das Reinheitsgebot bedeutet, meine ich ein Funkeln in seinen Augen zu erkennen. Mit lediglich vier Zutaten entstehen allein in Deutschland rund 5500 verschiedene Biersorten. Die Kombination von verschiedenen Malzen, Hopfensorten, Hefen und dem jeweils heimischen Wasser lassen fast unendliche Geschmacksrichtungen entstehen. Es ist nicht einfach ein Mischen der Komponenten, es ist Kunst, Handwerkskunst. Seit seiner Ausbildung beschäftigt sich Florian mit diesen Zutaten und nie ist es ihm in den Sinn gekommen, seine Ziele mit anderen Zugaben zu erreichen. Er würde gerne selbst 500 Jahre alt werden, um nur einen Teil der Möglichkeiten ausprobieren zu können.
Bei den Rohstoffen Malz und Hopfen hat außerdem die jährliche Witterung erheblichen Einfluss auf die Qualität, was Florian mit Hilfe seines Fachwissens und seinem handwerklichen Geschick ausgleichen muss, damit jeder Sud später ein typisches Juliusbräu wird.
Momentan wird durch das Entstehen vieler Craft-Brauereien (kleine experimentelle Brauereien) wieder diskutiert, ob das Reinheitsgebot abgeschafft oder gelockert werden soll. Florian sieht da keine wirkliche Gefahr. Wer das Brauen wirklich beherrsche, finde die Diskussion überflüssig. Das sähen die meisten Verbraucher genauso. Etwas kritischer empfindet er die Entwicklung mit den Bier-Sommeliers. Es sei zwar grundsätzlich gut, den Geschmack eines Bieres beschreiben zu können, man solle sich aber nicht vorschreiben lassen, was gut schmeckt. Das dürfte doch jeder für sich selbst am Besten wissen.
Wieder daheim kann ich mein Feierabendbier in Zukunft wieder richtig genießen. Ich weiß jetzt, dass unser Reinheitsgebot immer noch gültig ist. Es wurde lediglich klarer ausformuliert und aktualisiert. Die Beschränkung auf die vier natürlichen Zutaten verlangt von unseren Brauern, dass sie damit umgehen können und ihr Handwerk verstehen. Nicht umsonst gilt das bayerische Bier als Qualitätsstandard in aller Welt. Wir können und müssen auf unsere Brauer stolz sein. Also trinkt heimisches Bier, ein besseres werdet ihr nicht finden. PROST!
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Neuburg Inside.